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Channel: Kommentare zu: “Bürgerbefragungen wären gut”
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Von: Boccanegra

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@kleopatra: Und wenn wir erst einmal einen Gemeinsamen Standpunkt haben, dann wollen wir doch mal sehen, ob irgendein Parlament der Welt sich darüber hinwegzusetzen wagt 😉

Was die Kommissionsmitglieder und den Einfluss nationaler Interessen auf sie betrifft, haben wir wohl einfach unterschiedliche Einschätzungen. Dass das letzte Klimaschutzpaket im Interesse der deutschen Autolobby verwässert wurde, ist ja nicht in erster Linie Herrn Verheugen zu verdanken, sondern den Aktivitäten der Bundesregierung im Rat (als die Kommission das Paket verabschiedete, standen da noch einige ziemlich ehrgeizige Dinge drin!). Meiner Einschätzung nach arbeiten die Kommissare vor allem im Interesse ihres eigenen Ressorts – der Fischereikommissar profiliert sich am besten durch ein erfolgreiches Programm zur Förderung der nachhaltigen Fischerei. Dass man für dieses Amt eher keinen Tschechen oder Österreicher ernennt, folgt der Logik, nach der es in kontinentalen Binnenstaaten eher wenig erfahrene Meerespolitiker geben wird; aber ich kann in keiner Weise erkennen, dass etwa Joe Borg in den letzten Jahren für maltesische Interessen aufgeschlossener war als für niederländische oder schwedische (schon allein deshalb, weil seine wichtigsten Mitarbeiter aus allen möglichen anderen Ländern der EU stammen, der Generaldirektor für Fischerei ist beispielsweise ein Grieche). Es mag Einzelfälle geben, in denen Kommissare tatsächlich eher im Interesse ihres Landes handeln als in dem der Allgemeinheit – aber das sollte eher als Anlass für investigativen Journalismus und nicht als Normalfall angesehen werden. Dass die kleinen Länder trotzdem gerne einen “eigenen” Kandidaten behalten wollen, ist in meinen Augen eher ein Prestigeproblem – oder ein Missverständnis über die Arbeitsweise der Kommission. (Und was Prodi betrifft: Ja, der Mann war vor und nach seiner Amtszeit als Kommissionschef italienischer Ministerpräsident. Aber gibt es irgendein konkretes Beispiel dafür, dass er während seiner Kommissionszeit Italien bevorzugt hätte?)

Konsensorientierung: Ich stimme absolut zu, dass der technokratische Glaube an die “guten Argumente” eine weit geöffnete Tür für den Lobbyismus darstellt. Das ist erst einmal nicht per se schlecht (um ein sinnvolles Seesicherheitsgesetz zu schreiben, braucht man ein gewisses Wissen, für das man sinnvollerweise Reedereiverbände, Seeleutegewerkschaften usw. fragt), aber sehr wohl problematisch, wenn nämlich den Lobbyverbänden nicht das Gegengewicht einer öffentlichen Meinung entgegengestellt ist, die die Einzelinteressen im Sinne der Allgemeinheit austariert. Dafür braucht es, wie ich in meinem vorherigen Kommentar geschrieben habe, einerseits wachsame Medien – und andererseits eine hohe Beteiligung bei den Europawahlen. Wenn nämlich die Positionen von Europaparlament und Rat einander gegenüberstehen und an einem Kompromiss gefeilt wird, so werden sich die Parlamentarier umso besser durchsetzen, je eher sie darauf verweisen können, dass sie als gesamteuropäische Volksvertretung den Wählerwillen repräsentieren – und sie werden auch selbst ein umso höheres Interesse daran haben, sich durchzusetzen, je eher sie erkennen, dass sie für ihr Verhalten bei den nächsten Europawahlen belohnt oder abgestraft werden können.

Die Macht, die das Europaparlament in politischen Verhandlungsprozessen hat, hängt zu einem großen Teil an der symbolischen Legitimation, mit der es ausgestattet ist. Ein Parlament, in dem eine Handvoll unbekannter Politiker sitzen, die dort bei einer Wahlbeteiligung von 25% mehr oder weniger zufällig hineingekommen sind, wird von den Regierungen im Rat nicht besonders ernst genommen werden. Ein Parlament, das die Bevölkerung der EU hinter sich weiß, weil es von dieser Bevölkerung mit großer Wahlbeteiligung und intensiver öffentlicher Debatte gewählt wurde, kann dagegen Druck ausüben – es könnte etwa bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten damit drohen, jeden außer einem bestimmten Kandidaten mit einem Veto zu belegen; und wenn es dabei die Unterstützung der Öffentlichkeit hat, würde der Europäische Rat sich vermutlich nicht lange zögern, diesen Kandidaten auch vorzuschlagen. Dass das 2009 (noch) nicht der Fall sein wird, liegt also nicht nur am politischen System der EU – es liegt zum großen Teil auch am Desinteresse des demokratischen Souveräns, der Bevölkerung.

[Wobei es allerdings auch wieder nicht angemessen wäre, den Einfluss zu unterschätzen, den das Parlament schon heute besitzt. Es scheint mir jedenfalls kein Zufall zu sein, dass die Bereiche, in denen die EU in den letzten Jahren recht sinnvolle Gesetze verabschiedet hat (etwa die Umwelt-, Wettbewerbs- oder Verbraucherschutzpolitik) jeweils in den Bereich des Mitentscheidungsverfahrens fallen, während die größten Problembereiche (Außenhandels- und Agrarpolitik, Innere Sicherheit) bislang allein der Kommission und dem Rat überlassen sind.]


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